In Dornach-Auhof sind es etwa 250 m zwischen Leopold Figl und Michael Hainisch: Die Adolf-Schärf-Straße!
Mein erster Bundespräsident (wahrgenommen als Foto in der Schule) war von 1957 bis zu seinem Tod 1965 Bundespräsident der Republik Österreich. Er war der dritte Bundespräsident der Zweiten Republik und der erste, der nach einer sechsjährigen Amtsperiode wiedergewählt wurde.
Sein Tagebuch zeigt ihn als Mensch, der es früher »gewöhnt war, inmitten des politischen Lebens zu stehen und dort zu handeln«, als Bundespräsident aber immer einsamer wurde.
Eine Anekdote belegt, wie dieses Amt die Bewegungsfreiheit beeinträchtigen kann: Als er nach seiner Wahl in seine Stammsauna ging, legte er das seine Hüften umspannende Badetuch entgegen seiner Gepflogenheiten nicht ab. „Was is, Doktor Schärf“, fragte ein anderer Saunabesucher, „g‘schamig worden?“ „ Nein“, lautete die Antwort grantig, „Bundespräsident!“
Bis er allerdings Bundespräsident wurde, hatte er bereits ein ereignisreiches Leben hinter sich:
Adolf Schärf, Sohn einer armen Arbeiterfamilie, lebte ab 1899 in Wien, wo seine Eltern Anstellung als Glasperlenbläser gefunden hatten. Nach seinem Studium, das er durch Arbeit und Stipendien finanzierte, promovierte er 1914 vier Wochen vor Kriegsausbruch zum Doktor der Rechtswissenschaften. Im selben Jahr trat er als Freiwilliger in die österreichisch-ungarische Armee ein. 1915 heiratete er die Steirerin Hilda Hammer, mit der er zwei Kinder, Reinhold und Martha, hatte. Bei Kriegsende war Schärf Leutnant der Reserve.
Von 1918 bis 1933 arbeitete er als Sekretär des sozialdemokratischen Abgeordnetenklubs und der sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten (Seitz, Eldersch und Renner). Am 4. März 1933 hatte Schärf die Aufgabe, Renner während der (wie sich herausstellen sollte) letzten Nationalratssitzung der Ersten Republik als Bote den dringenden Rat von Karl Seitz und Otto Bauer mitzuteilen, Renner möge als Nationalratspräsident sofort zurücktreten. Renner folgte diesem fatalen Rat, der Zweite und der Dritte Präsident taten desgleichen, womit nach Auffassung von Bundeskanzler Dollfuß die Selbstausschaltung des Parlaments bewirkt wurde.
Nach dem Februaraufstand 1934 war Schärf von Februar bis Mai 1934 inhaftiert; er wurde als Parlamentsbeamter suspendiert und mit Jahresende 1934 pensioniert. Er legte seine Rechtsanwaltsprüfung ab und war von 1936 bis 1945 als Rechtsanwalt tätig.
Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 wurde er von der Gestapo festgenommen und verbrachte zwölf Tage in Polizeihaft. Drei Monate später übernahm er Wohnung und Anwaltskanzlei des jüdischen Advokaten Arnold Eisler, der ihm vor seiner Flucht seine Wohnung in der Skodagasse angeboten hatte, die Schärf bis zu seinem Tod bewohnte.
Schärf hatte Verbindungen zu Widerstandskreisen und war nach dem Attentat 1944 auf Hitler – wie schon 1934 und 1938 – in politischer Haft; sie dauerte diesmal fünf Wochen. Sein Sohn Reinhold war zur Wehrmacht eingezogen worden und fiel in Russland.
1945 war Schärf im Wiener Rathaus an der (Neu-)Gründung der SPÖ beteiligt und wurde zum provisorischen Vorsitzenden bestellt. Parteiobmann war nominell vorerst der noch nicht aus der KZ-Haft nach Wien zurückgekehrte, schwerkranke Karl Seitz. Am 27. April 1945 war Schärf daher für die Sozialdemokraten Mitunterzeichner der Österreichischen Unabhängigkeitserklärung. Am gleichen Tag wie Leopold Figl (ÖVP) und Johann Koplenig (KPÖ) wurde er politischer Staatssekretär – dies entsprach dem Rang eines Ministers – der Provisorischen Staatsregierung von Karl Renner (SPÖ). Renner, Figl, Schärf und Koplenig bildeten den so genannten Politischen Kabinettsrat, bis zur Bundespräsidentenwahl am 20. Dezember 1945 war dies die provisorische oberste Instanz der wieder erstehenden Republik.
Adolf Schärf war bis 1957 SPÖ-Parteivorsitzender und Vizekanzler der Koalitionsregierung ÖVP-SPÖ.
Nach dem Tod Theodor Körners 1957 gewann er die Wahl zum Bundespräsidenten mit knapp über 100.000 Stimmen Vorsprung gegen den gemeinsamen Kandidaten von ÖVP und FPÖ, Wolfgang Denk. Bei seiner Wiederwahl erhielt er 1963 mit 55,4 Prozent die bis dahin größte Stimmenmehrheit bei Bundespräsidentenwahlen. Einer seiner Gegenkandidaten war damals der damalige Altkanzler Julius Raab (ÖVP).
Außenpolitischer Höhepunkt seiner Präsidentschaft war 1961 das Wiener Gipfeltreffen des US-Präsidenten John F. Kennedy und des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chruschtschow, ein Anlass, bei dem er vor der gesamten Weltöffentlichkeit die Gastgeberrolle souverän spielte. Da Schärf verwitwet war (seine Frau Hilda verstarb 1956), stand ihm seine Tochter, die Medizinerin und ehemalige Schauspielerin Martha Kyrle als „First Lady“ bei der Wahrnehmung repräsentativer Obliegenheiten zur Seite.
Schärf wurde von allen Parteien dafür geachtet, das Präsidentenamt unparteiisch auszuüben. Er war ein entschiedener Befürworter der Großen Koalition, zu deren Architekten er gehörte. Auch als Staatsoberhaupt wohnte er in seiner Privatwohnung in der Skodagasse 1, von der aus er seinen Amtssitz im Leopoldinischen Trakt der Hofburg zu Fuß erreichen konnte.
Adolf Schärf verstarb nach kurzem, sehr schwerem Leiden 1965 in Wien. „Das neue Amt hat mich aus dem Kreis der Freunde von einst, aus dem intimen Verhältnis zu ihnen, heraus- oder hinaufgehoben. Ich bin so einsam wie nie zuvor.“ Der letzte Satz aus diesem Tagebucheintrag steht (in der Vergangenheitsform) auch auf seinem Grab am Zentralfriedhof in Wien.